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„säntis asphalt harte rosen“ und andere Arbeiten von Daniel Stiefel

Aktualisiert: 25. Nov. 2018

#Laudatio | 12. Januar 2018


Lieber Daniel,

lieber Arndt und liebe Monika,

liebe Gäste,


meine Name ist Mandy Krüger und ich freue mich, Sie im LAB 3 a.t.e.l.i.e.r.s begrüßen zu dürfen. Es ist eine besondere Ausstellung, zu der wir uns heute hier eingefunden haben. Das Künstlerehepaar Richter öffnet zum ersten Mal sein Atelier, um Arbeiten eines Künstlerkollegen und -freundes zu zeigen – die Werke des Schweizer Künstlers Daniel Stiefel.


Leben

Der 1953 in Wil bei St. Gallen geborene Zeichner, Maler und Zeichenlehrer lebt für und mit der Kunst. Neben seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit war er außerdem Dozent an mehreren höheren Schulen. Unter Anderem unterrichtete er bis 2016 Zeichnen an der Schule für Gestaltung St.Gallen und gibt heute noch Kurse an der Bildhauerschule Scuola di Scultura Peccia im Tessin. Hier lernten sich die Gastgeber der Ausstellung und der Künstler kennen.


Es war die Wucht und die großen Formate der Werke, an denen die Aufmerksamkeit des Ehepaar Richters hängenblieb. Sie waren fasziniert von dem ungewöhnlichen Material und die feinen Nuancen, die der Künstler scheinbar minimalistisch herausarbeitet. Daniel Stiefel erschafft Strukturen, die man beinahe hyper- oder fotorealistisch nennen möchte – deren Entstehung jedoch alles anderem als dem Minimalismus einer Fotografie folgt.


Ausstellung

Unter dem Titel „säntis asphalt harte rosen“ werden hier nun insgesamt 22, für den Künstler Daniel Stiefel eher kleinformatige Werke gezeigt. In diesem Titel steckt der ganze Charakter dieser Ausstellung. Der Säntis, für viele Konstanzer der Hausberg, der bei klarer Sicht wie kein anderer Berg den Blick über den Bodensee prägt. Asphalt, das Material, aus dem dieser Werke hervorgehen. Und die harten Rosen, die für das Appenzeller Land stehen. Genauer für die starken Appenzeller Frauen, wie mir Daniel verraten hat.


Im ersten Raum sehen Sie ganz aktuelle Werke – diese hier sind wenige Wochen alt. Sie zeigen Steine, Wurzeln und Berge und lassen sich vielleicht unter dem Stichwort „Landschaft“ zusammenfassen. In ihrer Farbigkeit sind sie sich recht ähnlich, denn alle wurden mit Asphaltlack gemalt.


Die Arbeiten im zweiten Raum und dort vorne, der [Rosskopf] hinter der Wand, sind – mit Ausnahme der [Rosen] – vor den Asphaltbildern entstanden. Hierfür wurden Acrylfarben verwendet. Sie besitzen eine annähernd ähnliche Transparenz, gehen jedoch vom Dunkeln ins helle und wirken eine bisschen wie das farbliche Negativ diesen ersten Raumes.


Die Motive

Daniel Stiefels Arbeiten und ihre Motive formen sich aus einem Prozess. Das meiste entsteht aus dem Kopf heraus oder direkt vor dem Objekt in der Natur. Nur Weniges nach fotografischen Vorlagen.


Er hat das Endprodukt nicht von Anfang im Kopf. Es beginnt mit einem Farbsee oder einem Gestus. Der Auftrag des Asphaltlacks lässt sich nicht kontrollieren. Viel mehr muss man etwas aus dem Gegebenen machen. Darin sieht Daniel Stiefel das Grundlegende jeder Art von Kreativität: Dass man aus etwas Bestehendem etwas Neues herstellt.


„Man muss auch Zufälle sehen können,“ sagt er auch gern. Es ist die Serendipität, die er damit meint. Also eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist.


Grundsätzlich vertritt der Künstler die Ansicht, dass das Zufällige des Augenblicks – so wie die Natur mit all ihren Details im Moment vor uns erscheint – in der Fotografie seinen Charakter verliert. Sie wird in der Fotografie fixiert und was von einem Foto abgezeichnet wird, ist nicht mehr zufällig, sondern schon gegeben. Darum muss man sich vor ein Objekt begeben, vor Ort und nicht nach Plan – nach einer Fotografie – zeichnen und malen. Die Werke [13-16] sind auf diese Weise entstanden. Stellt man sich dem direkten Vergleich, wird man feststellen, dass die direkt vor dem Objekt entstandenen Arbeiten gänzlich anders aussehen als nach Fotografien entstandenen.


Bedient sich Daniel Stiefel dann doch mal einer fotografischen Vorlage, so überlässt er das Zufällige wieder – wortwörtlich – dem Zufall. Er vermeidet das Planhafte und fördert stattdessen das Zufällige, das Zufallende oder Zufließende. So kann es sein, dass am Ende etwas ganz anderes entsteht, als die Vorlage zu Beginn erahnen ließ.


Die Arbeit [Die zwei Brüder] – damit sind der Säntis und der Altmann gemeint – mögen beispielhaft dafür stehen. Diese Arbeit entstand nach einer Fotografie. Es ist eine Luftaufnahme aus einem Flugzeug heraus aufgenommen – von der anderen Seite, dem Appenzeller Land aus gesehen.


Das Material

Das Zufällige findet sich auch in der Wahl seines Material wieder. Daniel Stiefel ist einer der wenigen Künstler, die mit Asphaltlack arbeiten. Er stieß auf dieses Material etwa um das Jahr 2004 herum, auf der Suche nach einer Ölfarbe, die beim Malen eine große Transparenz ermöglicht und ihm erlaubt, halbdurchsichtig zu malen. Er wollte, dass man förmlich in das Bild hineinschauen kann.


Asphaltlack ist ein schwarzbrauner, säurebeständiger Lack. Er wird zum Beispiel als Abdecklack bzw. Ätzgrund auf Metallen oder Glas im Druck- und Photobereich verwendet. Wie der Name schon sagt, ist Asphalt der vorrangige Bestandteil dieser Farbe. Auch Erdpech oder Bitumen genannt, wird Asphalt bei der Aufbereitung von Erdölen gewonnen.


Neben seinem Gebrauch als Bindemittel im Strassenteer, als Dichtungsmasse oder Korrosionsschutz, zählt Asphalt eigentlich zu den Ölfarben und wurde schon im 19. Jahrhundert als Grundierung für Ölmalerei benutzt.


Somit ist Asphalt vielleicht die älteste und ursprünglichste Ölfarbe in der Kunstgeschichte.


Unverdünnt ist Asphalt klebrig und grünstichig. Gibt man das Lösungsmittel Terpentinersatz dazu, wird er streichbar. Verdünnt ergibt sich eine Hell-Dunkelskala "von Honiggelb bis Rabenschwarz“ und das in den allerfeinsten Abstufungen. Die Qualität des Asphalt liegt also in der Tiefe der Farbe, denn er ist so fein pigmentiert wie Chinatusche. Asphalt ist nicht nur die erste, sondern sozusagen auch „die Tusche unter den Ölfarben.“


Man kann den verdünnten Asphaltlack nur auf den Malgrund spritzen. Dadurch spielt zwangsläufig der Zufall auch hier eine entscheidende Rolle. Denn die Verläufe lassen sich kaum steuern und verselbstständigen sich. Mit Spachtel, Schwamm oder auch nur mit den Händen bearbeitet Daniel Stiefel den Asphalt. Gemeinsam mit den zarten Farbverläufen entsteht dadurch sofort eine räumliche Wirkung und feinste Strukturen, wie zarte Holzmaserungen oder vertrocknete Rosen.


Arbeitet Daniel Stiefel mit saugfähigem Papier, wird das gefärbte Terpentin aus der Farbe gezogen. Es entsteht dieser eigentümliche braune Rand, der hier auf den Werken zusehen ist und dessen Verlauf sich auch nicht kontrollieren lässt. Das Lösungsmittel wird zum Gestaltungselement. Eines, das den Zufall in Daniel Stiefels Arbeiten nun konkret sichtbar macht.


Der Betrachter

Die Zeichnung hat in der Kunst eine lange Tradition und reicht zurück bis zu den ersten Menschen. Die frühe Kunst war einfach nur gegenwärtig. Es gab keine Museen oder Galerien, keine Kunst- oder Mediengeschichte. 


Dieses Gegenwärtige versucht Daniel Stiefel durch die „Überwältigung des Betrachters" im Jetzt zu erzielen. Er möchte diese Kraft, diese Macht in seine Bilder legen und dem Betrachter spürbar machen.


Er erwartet aber auch von diesem, dass er seine eigene Welt durch seine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen vor dem Werk aufbaut. Wenn man so will, findet sich auch hier der Zufall wieder – schließlich kann Daniel Stiefel auch hier nicht steuern, welche Erfahrungen der Betrachter zu jedem Bild mitbringt.



Schluss

Daniel Stiefels Arbeiten lassen sich nicht nur als „Zeichnung“ oder „Malerei“ bezeichnen – möglicherweise als gemalte Zeichnungen oder gezeichnete Malerei. Die Zeichnung beginnt gewöhnlich mit Linien. Daniel Stiefels Arbeiten beginnen mit der Flächen. Durch das Aufspritzen von Farbseen auf Papier oder verreiben von Asphalt mit den Händen.


Auf dies Weise erschafft er am Ende seinen ganz eigenen Realismus. Einen Realismus, der nicht durch minimalistische Pinselstriche, sondern aus sich selbst – aus der Geste und dem Material heraus – entsteht.


Und nun – lassen Sie sich hineinsaugen. Lassen Sie sich überwältigen. Vielen Dank!






„Der Berg ist mächtig. Er ist im Wandel. In Bewegung. Als ich einmal Mühe mit Walddarstellung bekundete, meinte Sepp der Alpbesitzer klug: Lass ihn doch weg. Verglichen mit den Bergen sind Bäume nur momentan.“
[Daniel Stiefel, 2018]


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